Berufsförderungswerk Bad Wildbad

„Der Grad der Behinderung entspricht ja nicht dem Grad der Leistungsfähigkeit“

Herausforderungen in einer Berufswelt im Wandel

 

Im Berufsförderungswerk in Bad Wildbad werden seit Jahrzehnten Menschen, die sich nach Eintritt einer Behinderung neu im Leben orientieren müssen, auf das Berufsleben vorbereitet. Wolfgang Dings, Sprecher der Geschäftsführung der Einrichtung, kennt die Herausforderungen, die diese Aufgabe in einer Berufswelt im Wandel mit sich bringt.

 

Wer infolge eines Unfalls oder einer Krankheit eine Querschnittlähmung erleidet, steht vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Umgang mit den unmittelbaren körperlichen Symptomen dabei oberste Priorität hat. Rasch treten aber weitere Fragen ins Blickfeld und eine im Besonderen: Wie geht es beruflich weiter?

 

Wolfgang Dings ist Sprecher der Geschäftsführung im Berufsförderungswerk Bad Wildbad. Er verfügt über eine langjährige Expertise, wenn es um die Beantwortung genau dieser Frage geht. Das Berufsförderungswerk ist dem Ziel verpflichtet, Menschen in der Phase der Neuorientierung nach Eintritt einer Behinderung Lösungswege aufzuzeigen. Dass das Spektrum der Möglichkeiten breiter ist, als man auf den ersten Blick vermuten möchte, ist eine der Botschaften, die der pragmatische Rheinländer im Gespräch vermittelt. Seine grundsätzliche Botschaft ist positiv: „Die Arbeitswelt eröffnet heute bessere Rückkehrbedingungen in den Beruf als das früher der Fall war. Dazu trägt die Entwicklung auf dem Dienstleistungssektor bei, der eine Vielzahl von Bürotätigkeiten bietet. Unabhängig davon sind heute die Bildungswege auch vielfältiger als sie es früher waren. Junge Betroffene denken je nachdem nicht über eine Ausbildung bzw. Umschulung nach, sondern nutzen zunächst mal die Möglichkeit eines Studiums und orientieren sich danach weiter.“

 

 

Den Tatsachen ins Auge blicken

Aber bevor überhaupt Überlegungen zur beruflichen Zukunft angestellt werden, ist eine andere Hürde zu überwinden, und die hat etwas mit den immer kürzer werdenden Klinikzeiten zu tun, die für die Rehabilitation zur Verfügung stehen. „Das Thema Wiedereingliederung ins Berufsleben an die Patienten heranzutragen, ist eine heikle Angelegenheit“, konstatiert Dings. „Einerseits ist es natürlich gut, die für die Zukunft entscheidenden Fragen so früh wie möglich in Angriff zu nehmen. Andererseits brauchen viele Betroffene aber erst mal Zeit, um ihre Gesamtsituation an sich heranzulassen und zu verarbeiten. Wir müssen die Angehörigen mit ins Boot holen, aber Partner und Eltern sind natürlich am Anfang ebenso paralysiert und mit einer Vielzahl von Baustellen konfrontiert.“ Vor dem Hintergrund des immer größeren Zeitdrucks, mit dem sich Patienten, Ärzte, Pfleger und Angehörige in Sachen Rehamaßnahmen konfrontiert sehen, konstatiert Dings nüchtern lakonisch: „Die Beschäftigungsfrage wird eigentlich immer zu spät gestellt.“

 

Freilich spielt in diesem Prozess auch die Herangehensweise der Ärzte eine Rolle. „Wird der Patient nur als medizinischer Fall betrachtet, ist das natürlich wenig hilfreich in Bezug auf die anderen Herausforderungen, die ihm bevorstehen. Eine ganzheitliche Herangehensweise, wie sie zum Beispiel bei uns in der Heinrich-Sommer-Klinik gelebt wird, ist sinnvoller“, so Dings.

 

 

Neue Fähigkeiten wahrnehmen

Überhaupt hat eine alle Beteiligten involvierende Strategie die besten Erfolgsaussichten. „Wenn der Patient, der Arzt und ein infrage kommender Arbeitgeber wollen, dann stehen die Chancen für berufliche Veränderungen gut. Wer vor der Herausforderung einer Neuorientierung steht, sollte die Chance bekommen, sich auszuprobieren, Dinge und Fähigkeiten in sich zu entdecken, die er bis dahin vielleicht gar nicht wahrgenommen hat. Wenn der Weg in eine neue berufliche Situation in der Reha nicht als Fremdkörper wahrgenommen wird und ein wenig Phantasie mit ins Spiel kommt, dann wird’s spannend“, beschreibt Dings eine komplexe Situation. Er weiß aus Erfahrung aber auch um die Grenzen des Möglichen: „Wo seitens des Betroffenen eine Verweigerungshaltung dominiert, ist der Weg in die Verrentung vorgezeichnet.“

 

Dass das Berufsförderungswerk nicht für alle Rehabilitanden die optimale Lösung zur Hand hat, ist Wolfgang Dings klar, er verweist aber auf Alternativen: „Wir haben ein begrenztes Portfolio. Manchmal finden wir mit dem Patienten eine Lösung, die wir hier nicht umsetzen können. Dann suchen wir gemeinsam nach Alternativen. Die müssen nicht stationär durchgeführt werden. Eine gute Vernetzung und die Kooperation mit Betrieben im Umfeld ist in solchen Fällen hilfreich. Hier müssen wir uns – wenn nötig – mal von dem Zweijahresschema trennen, nach dem klassische Maßnahmen im Berufsförderungswerk organisiert sind.“

 

 

Der kürzeste Weg in den Job ist nicht immer der beste

Und dann ist da noch der Kontrast zwischen Theorie und Praxis. „Wir müssen uns brennend dafür interessieren, was unsere Rehabilitanden in der freien Wildbahn erwartet“, sagt Dings mit Bezug auf das, was auf die Berufs(wieder)einsteiger nach der Maßnahme zukommt. „Es kann dort schon mal eng werden. Einerseits sind wir, was unseren Erfolg bei der Vermittlung unserer Teilnehmer in den freien Markt betrifft, über die Jahre betrachtet erstaunlich konjunkturunabhängig, andererseits fängt der derzeit gute Arbeitsmarkt uns manchmal förmlich die Kandidaten weg. Das ist nicht so erfreulich, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Der kürzeste Weg in den Job ist nicht immer der beste. Schließlich ist eine Rehabilitationsmaßnahme mehr als reine berufliche Zurüstung.“ Angesprochen auf die Sinnhaftigkeit von besonderen Konditio- nen für Schwerbehinderte im Arbeitsleben wie etwa zusätzliche Urlaubstage oder Kündigungsschutz gibt sich Dings pragmatisch: „Wenn der Grad der Behinderung (GdB) mit dem Grad der Leistungsfähigkeit gleichzusetzen wäre, wäre ein Mitarbeiter mit 100 Prozent GdB ja automatisch arbeitsunfähig. Für mich sind Mitarbeiter zunächst einmal Mitarbeiter, unabhängig von solchen Erwägungen. Viele große Unternehmen sehen das ähnlich. In kleinen Unternehmen arbeiten ohnehin häufig Menschen mit im Lauf der Betriebszugehörigkeit erworbenem Grad der Behinderung, ohne dass das problematisch wäre. Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Integrationsquote nach wie vor unbefriedigend ist. Es gibt noch viel zu tun.“                                                                        

Werner Pohl

 

Quelle: PARAplegiker 3/2018

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